Viel zu spät begreifen viele die versäumten Lebensziele: Freude, Schönheit der Natur, Gesundheit, Reisen und Kultur. Darum, Mensch, sei zeitig weise! Höchste Zeit ist's: Reise, reise! - Wilhelm Busch

Samstag, 18. August 2012

GR20 Süd, 7. Etappe: Refuge Paliri - Conca

Der Wecker der Uhr piepst diesmal nicht ganz so früh, irgendwann gegen 7 Uhr, die Nacht war kurz, der Staub überall erinnert noch an den nächtlichen Hubschrauberbesuch. Wir krabbeln aus dem Zelt, die Wolken hängen tief über unseren Köpfen, kuscheln sich an die Felskulisse. Wir machen uns ein kleines Frühstück, draußen stehen auch Kocher, der heiße Kaffee ist also gerettet. Wenig später erscheinen auch unsere drei Deutschen, die Kleine hat den Heli-Einsatz offenbar tatsächlich verschlafen, ist mir schleierhaft, wie sie das geschafft hat, während sich ihre Mutter gegen die Zeltwand gestemmt hat, damit nichts umkippt. Schnell wird klar, dass wir den letzten Wandertag nicht alleine beschließen werden, sondern mit den anderen dreien.




Ich stehe solchen Zusammenschlüssen in meinem tiefsten Inneren skeptisch gegenüber, grade jetzt, wo ich viel mehr auf mein eigenes Tempo achten muss und gern vor mich hin trotte, hin und wieder Fotos mache, mich in Gedanken verliere, bis Haimon sich umdreht, kurz wartet und wir eine kleine Trinkpause einlegen. Geredet wird hin und wieder, aber unterm Strich ist es ruhig, in stillem Einverständnis. Damit war es nun aber vorbei. Nicht nur, dass die Kleine wie ein Automat zwei Stunden lang Kindernamen ausspuckte, obwohl wir mehrmals versichert hatten, absolut noch nicht darüber nachzudenken und nachdenken zu wollen. Um dieser Diskussion zu entgehen, wollte ich den Platz ganzen hinten als Letzte einnehmen. Da war aber schon die Mutter der Kleinen, die ihre Ruhe haben wollte, wie sie auch rundheraus sagte, was sie mir sogleich sympatisch machte. Also lief ich als Vorletzte, ließ mich mit ihr ein bisschen zurückfallen.



Kaum, dass wir etwas losgelöst von den anderen waren, begann der Sprechautomat HINTER mir, ich fiel fast vom Glauben ab. Und war eine Stunde später um viele Geschichten zu misslungener Kindererziehung, auf das Baby folgender Partnerschaftsprobleme und vieler aufgrund der Kinder begrabener Träume reicher. Zu allem Übel wurde es auch noch immer heißer, wir kamen ja in tiefere Regionen, was aber den ein oder anderen schweißtreibenden Aufstieg nicht ausschloss - wenigstens war da mal Ruhe. Eine Quelle unterwegs entpuppte sich als klitzekleines Rinnsal, in das wir ein Blatt legten, was den winzigen Wasserstrom in unsere Trinkgefäße umleiten sollte, während sich zig Mücken gütlich an nackten Wandererwaden taten.

Endlich erreichten wir das Tal, endlich die Gumpen mit ihrem kühlen Wasser. Die Franzosenjungs, die wir öfter sahen, aalten sich schon auf den Steinen und sahen uns belustigt zu, wie wir durchs Wasser quietschten. Die Abkühlung war bitter nötig, mittlerweile kam zur Mittagshitze auch eine drückende Schwüle hinzu, aber immerhin auch ein paar Wolken, sodass wir anschließend nicht mehr ständig unter der brennenden Sonne liefen. Dafür quälten mich wieder tausende Namensvorschläge, auch hatte ich keine Lust Name-Stadt-Land zu spielen, sondern wollte mich lieber innerlich von dieser schönen Landschaft verabschieden, die wir hinter uns ließen. Zuletzt begann Genöle von allen Seiten, dass der Weg jetzt aber eintönig sei. Waldbrände haben sich rund um Conca durch die Landschaft gefressen und nun sieht man statt Pinien eher Macchia. Immerhin finden wir am letzten Pass noch ein bisschen Schatten und Bäume, machen uns über geräucherten Schinken her, den Klaus auspackt und treten frisch gestärkt den Abstieg an, das Ziel vor Augen...



Es ist ein seltsames Gefühl. Asphalt unter den Schuhen. Häuser links und rechts. Ein Ortsteil, der sich Radicali nennt, irgendwie passend zu manchen Stellen des GR20, den wir hinter uns haben. Wir kommen vorbei an nach Marzipan duftenden Feigenbäumen, Blumen, sattem bewässerten Grün. Und landen in der erstbesten Bar, stürzen uns auf Orangina und Eis, ziehen die Wanderschuhe aus und genießen unseren Erfolg, sieben Tage, um die 7.000 Höhenmeter. Zwei Kanadier, die die drei Deutschen kennen, gesellen sich zu uns, beide haben den kompletten GR20 geschafft und sich mit entsprechenden T-Shirts eingedeckt.


Nach einer Stunde heißt es Abschied nehmen. Unsere Drei fahren mit dem Bus weiter zum Campingplatz am Meer, wo der Vater der Kleinen mit Geschwisterkind wartet. Wir erfragen noch schnell den Fahrplan nach Bonifacio bzw. erstmal Porto Vecchio für den nächsten Tag und trotten dann die Dorfstraße hinunter zu unserem Campingplatz, La Tonnelle. Wieder an einem Fluss, wunderbarer Schatten, warme Duschen mit einem Bewohner, einer respektabel großen Tarantel, die aber sehr schnell Reiß-Aus nahm, als sie Menschen bemerkte...

Das Abendessen war unsere Belohnung für die vergangenen entbehrungsreicheren Tage - 3 Gänge, Fisch bzw. Steak (was sonst, Haimon? ) und süßer Nachtisch. Ach, und nachts zahlreiche Düüüüd-düüüüüd-düüüüd der Zwergohreulen. Oh Corsica, je t'aime :-)

Montag, 13. August 2012

GR20 Süd - Nächtliche Ruhestörung

Der letzte Abend in den Bergen bricht an. Wir sitzen noch vorm Zelt, schauen zu den Felsen, die das Abendrot in sanfte Rosatöne taucht, Dunst langsam dahinzieht. Der Hüttenwirt kommt auch noch rum, nett, denke ich, wünscht er uns jetzt eine Gute Nacht? Doch er hat anderes mitzuteilen, sein Ziel ist ein Zelt von 2 deutschen Mädels, ein Stück weiter oben im Gebüsch nahe der schönen Ebene, die ich schon als Lagerplatz auswählen wollte. Sie sollten lieber ihr Zelt verlassen oder ganz verschwinden, denn der Helikopter käme.

Endlich, in den trägen Abend kommt auf einmal Bewegung, Glanz in die Augen, ein Hubschrauber kommt, landet hier, au, wie fein, das denken wir, das denken viele und so stehen wir dann da, gaffen in den Himmel, lauschen gespannt, gaffen, lauschen - und nichts passiert. Also fangen wir an zu spekulieren, warum der Hubschrauber kommt. Wir haben nichts von Verletzten gehört, also scheidet die Variante aus. Viel wahrscheinlicher erscheint es uns, dass der Hubschrauber Vorräte bringt in die mit Autos unzugängliche Hütte. Klaus, unser Deutscher, freut sich schon auf kühles Bier, ich denke an Schokolade - und gaffe weiter. Langsam lastet die Dämmerung schwer über dem Land, gucken wird anstrengend. Es ist kurz vor zehn, es wird richtig dunkel. Na, dann eben nicht, kommt er halt doch nicht, der Hubschrauber. Enttäuscht krabbeln wir zurück ins Zelt, in die Schlafsäcke, sorgen noch für eine halbe Stunde Extra-Aufruhr, weil wir unseren Deutschen auf die Frage, ob wir mal Kinder wollen, mit der Realität antworten und sofort mit tausend Fragen zu Namen, Geburtsweise etc. überhäuft werden. Dann hat auch das ein Ende, Haimon schnarcht schon, ich denke über all die Baby-Geschichten, mit denen ich in den letzten Tagen überhäuft wurde, nach und ärgere mich über die Franzosen draußen, die immer noch rumstehen, Löcher in die Luft gucken und ratschen. Habt Ihr kein Zuhause, denke ich irgendwann, es ist stockduster mittlerweile, die Franzosen ratschen immer noch, Haimon schläft den Schlaf des Gerechten und ich dämmere endlich auch leicht weg - bis ich es höre. Ein leises, weit entferntes Brummen. Der Helikopter!

Ich schnelle hoch, rüttle Haimon gnadenlos wach, "der Heli, der Heli, er kommt doch", reiße das Zelt auf, während Haimon die Augen zukneift, geblendet vom Licht meiner Stirnlampe, mit der ich aufgeregt rumfuchtle, während ich schon halb aus dem Zelt hänge, um einen Blick auf das kleine blinkende Etwas am Nachthimmel zu erhaschen, das erst in großer Höhe über uns hinwegfliegt. Haimon brummt enttäuscht. Die Franzosen gestikulieren mittlerweile ganz aufgeregt, werden zu einem wahren Hühnerhaufen, als der Heli doch dreht und sich schnell absenkt, Kurs nimmt auf die kleine Ebene vor unserem Zelt. Und da erst dämmert es uns wirklich. Das Ding wird vor unserer Nase landen! Wir schauen uns an, doch die freudige Aufregung überwiegt, geil, ein Heli! Die Franzosen wedeln inzwischen aufgeregt mit ihren Stirnlampen und bilden einen Landekreis. Fünf Meter vor unserem Zelt. Dann plötzlich ist ihr Licht unscheinbar. Der Helikopter hat seinen Scheinwerfer gedreht, der Kegel gleißenden Lichts fährt über den Boden, es wird lauter und unser Zelt unglaublich hell. Das Licht bleibt, bewegt sich nicht mehr, nur das Schrabb-schrabb-schrabb des Hubschraubers wird immer lauter. Scheiße, er zeigt mit dem Licht auf unser Zelt. Wieder gucken wir uns an, die Begeisterung in meinen Augen ist gewichen. Ein, zwei Schrecksekunden, ewig lang. Unser Zelt ist schwarz, scheiße, wenn er uns nicht recht sieht, denke ich, spreche ich aus, Haimon versucht gegen diese Sorgen zu brüllen, etwas anderes würde ich auch nicht mehr verstehen, ach, so ein Mist, wir sollten vielleicht das Zelt zumachen, bei dem Wind, der alles aufwirbelt, ich nestle mit einer Hand am Reißverschluss, die andere umkrallt sinnloserweise noch die Lampe, ich reiße den Reißverschluss hoch, fast ist es geschafft, doch dann klemmt er. Lässt einen 20 Zentimeter großen Spalt offen, ich rüttle, brülle ihn an, zwecklos, hilflos kniee ich davor, fange mit Kopf und Schulter allen Mist ab, der da in unsere Richtung gewht wird.

Haimon hat sich schon hinter mich verkrochen, lehnt gegen das Zelt, was sich donnernd gegen den Wind des Helis wehrt, der seinen Lichtkegel nun leicht verschoben hat, kurz überm Boden vor uns schwebt. Ich versuche das Zelt oben zuzuhalten, kriege aber weiter die volle Ladung Sand, Staub, Dreck ins Gesicht - in die Augen, die Nase, zwischen die Zähne. Lehne auch gegen die Zeltwand, die erstaunlich robust hält gegen den orkanartigen Sturm draußen. Dann sehe ich, dass der Reißverschluss des Eingangs auch unten leicht offen ist, also drückt es auch von dort allen Staub zu uns rein. Ich komme mir vor wie in einem Sandkasten, in dem ein Dreijähriger Amok läuft, mit beiden Händen wühlt und wühlt und Sand verteilt.

Immerhin ein Gutes hat der Spalt - wir können alles sehen, trotz Sandkörnern in den Augen, trotz Scheinwerfern. Ein Rettungshubschrauber steht da vor uns, Sanitäter laufen raus, kommen wieder zurück, hinter ihnen ein Mann, ob es nun der Verletzte war (es kursieren Gerüchte, einer hätte sich den Arm gebrochen...vielleicht ein singender Baske, den der Wein von der Terrasse befördert hat?!) oder eine Begleitung eines wirklich Schwerverletzten, wir werden es nie erfahren. Durchatmen, durchhusten, was auch immer möglich ist in der kurzen Zeit, in der die Rotorblätter nur langsam durch die Luft schneiden. Alsbald heult der Motor wieder auf. Der Heli muss aufsteigen, ich wieder das Zelt zuhalten. Ich drehe mich zu Haimon um. Was, wenn der Heli im Aufstieg die hohen Bäume neben ihm rammt, frage ich rhetorisch. "Dann war's das", kommt trocken zurück. Für uns und den Heli, piepse ich, bevor ich lieber wieder die Klappe halte, um nicht erneut allen Sand zwischen die Zähne zu bekommen, als der Heli abhebt, langsam, geradlinig, dann immer schneller. Und plötzlich ist es wieder still. Ganz still, bis auf das Fiepen im Ohr. Und dem Husten, Niesen, Räuspern, Ausspucken, Isomatten-Schlafsack-Ausschütteln von uns Zweien, die sich ein paar Stunden zuvor noch auf dem Landeplatz des Helis häuslich einrichten wollten... die Mädels weiter oben haben's übrigens auch überstanden. Achso, und die Eule, sie war Zeuge. Als sei nichts geschehen, rief sie des Nachts und scheuchte den letzten Schreck aus meinen Gliedern. Und ließ mich endlich auch einschlafen.

Dienstag, 7. August 2012

GR20 Süd, 6. Etappe: Refuge Asinao - Refuge Paliri

"Domani, variante alpina!!!" , morgen, alpine Variante, ja is klar, dachte ich mir am Vorabend, als ich dem kleinen Italiener die eitrigen Fersen verarztet hatte und er große Reden schwang. Und doch musste ich staunen, als er am nächsten Morgen fertig bepackt - und mittlerweile mit einem Shirt um die Rastas geschlungen, als Sonnenschutz - mit seinem Onkel da stand und dann zügig vor uns den Hang runtermarschierte. Wir wollten auf jeden Fall die alpine Variante des GR20 durch das Bavella-Massiv gehen.  Gut gestärkt mit dem Globetrottermüsli und einem halben Müsliriegel der Belgier schlossen wir uns den beiden aus Brescia an, ließen sie aber alsbald ziehen, irgendwo würden wir sie schon wieder einholen.


Der Weg war nämlich einfach zu schön, um zu hetzen. Felsen, Wolken in den Tälern, Blicke zurück zum Incudine. Wir wanderten an manchen zackig aufragenden Felstürmen entlang, bis sich schließlich die großen Türme der Bavella vor uns ausbreiteten, eine Waschküche des Teufels, wie der Nebel schnell über die Steine  strich, Wolken den Fels umhüllten, nur, um im nächsten Moment weiterzuziehen, nach oben aufzusteigen und sich im Blau des Himmels zu verlieren. Wir rasteten und blickten auf dieses Schauspiel, was unsere beiden Italiener schon eine Weile genossen und uns zu unserer Pause noch Süßkartoffelmarmelade reichten. Man hätte sich vorkommen können wie in einer verwunschenen Welt, wären da nicht die immer mal wieder auftauchenden Grüppchen schnaufender, rotgesichtiger Tagestouristen, die der Parkplatz am Bavella-Pass angelockt hat und die sich nun übermütig in ihr Abenteuer stürzen, manche völlig ohne Wasser zur Mittagshitze wie ein paar Jungs, deren Gepäck aber eher doch auf eine größere Tour schließen ließ.





Mitten drin in der Bavella sahen wir dann, warum diese Variante nun vor allem "alpin" genannt wird. Ein etwa 10 bis 15 Meter hoher Fels lag mitten im Weg, nichts führte um ihn herum, man musste drüber. Zur Hilfe gab es eine schwere Eisenkette, an der man sich entlanghangeln konnte. Das war ein Spaß, wenn auch ein schweißtreibender :-)


Weniger spaßig war der Abstieg hinunter zum Pass. Erst ließ sich der Weg nicht recht finden. Und dort, wo die Markierung dann zu sehen war, war nicht unbedingt bestes Durchkommen. Ein steiler, steiniger und rutschiger Pfad schlängelte sich in engen Serpentinen bergab, unerbittlich der Sonne ausgesetzt. Wer das ohne Wanderstöcke machen muss, der tut mir leid. Nicht besser als der Abstieg ist das, was einen unten erwartet, mal von den Kletterern abgesehen. Massenhaft Autos, reinste Blechlawinen, umzäunte Areale, Benzingestank, nölige Stadtkinder mit noch nöligeren Eltern auf Ausflug, was für eine Show. Immerhin, der Ausblick auf eine kühle Orangina und endlich wieder einen frischen Salat ließ mich das alles ignorieren und wir betraten die erstbeste Terrasse eines Restaurants. Während ein Kellner sich noch bemühte, zu lächeln und irgendwie nett zu sein, setzte seine junge Kollegin von vornherein ein Gesicht auf, als hätte sie eben an unseren Wanderschuhen gerochen. Mit spitzen Fingerchen und ausgestrecktem Arm servierte sie uns den Salada Nicoise, in dem alles drin ist, was man so braucht: Von der Kartoffel über die Tomate hin zu den Sardellen, die Haimon kurz mit einem Kellnerinnen-ähnlichen Blick bedachte, bevor er sie dann doch vertilgte.


Gut eine Stunde später waren wir auch schon wieder im Wald, hatten noch etwas Proviant gekauft und an der Dorfquelle Wasser gezapft. Nach ein paar Kilometern wurde es wieder sehr ruhig und am nächsten Anstieg waren wir schon wieder allein, allein mit dem Blick zurück auf die grandiosen Wolkenschauspiele der Bavella. Und dann standen wir da, auf einem der letzten Pässe des südlichen GR20, der Foce Finosa auf 1.206m, blickten hinunter auf die Wälder, das Türkis des Meeres an der Küste, das Blau der Mietzelte des letzten Refuges, immer noch ein gutes Stück weg, eine knappe Stunde. Wir guckten so in die Runde, schälten unsere wunderbar saftigen Orangen und waren fast etwas wehmütig.



Der Abstieg immer am Hang entlang war ein Spaziergang. So schafften wir es auch noch pünktlich zur Bestellung des Abendessens, hatten am Tisch dann redselige Franzosen um uns herum, die Basken einen Tisch weiter begannen zum Nachtisch auch noch zu singen, es wurde kühl, aber nicht mehr so kalt wie sonst, es war ganz einfach friedlich. Komplettiert hatten das Ganze übrigens noch unsere 3 Deutschen, die kurz nach dem Essen auch ankamen...

Wir hatten unser Zelt auf einer schönen ebenen Fläche aufgestellt. Erst wollte ich es noch weiter oben, wo es noch glatter war, hinstellen, doch Haimon hatte da so eine dumpfe Ahnung, dass es keine gute Idee ist. Es stand ja gar keiner dort, bei der Fülle an Zelten weiter unten verwunderlich. Nunja. In der Nacht haben wir dann erfahren, warum selbst unser letztendlicher Platz nicht wirklich gut war...



Sonntag, 5. August 2012

GR20 Süd, 5. Etappe: Bergerie Croce - Refuge Asinao

Es weht ein kühler Wind durch's Zelt, vor die Morgensonne schieben sich Wolken. Ich halte die Nase nach draußen. Tropf. Tropf. Och nöö. Regen? Etwas hastig rollen wir Isomatten und Schlafsäcke auf, zack, zack, da liegt auch schon das Zelt am Boden, zack, zack, ist es auch schon eingepackt. Und der Regen? Hat sich nach ein paar Tropfen wieder verzogen, geblieben ist der Wind, der feuchte Meeresluft heraufträgt. Nach 38 Grad am Vortag ist es am heutigen Morgen noch dazu recht angenehm. Wir setzen uns unter den Zeltpavillon, bestreichen unsere Baguettescheibchen mit bittersüßer Clementinenmarmelade und schauen zu, wie das Pferd des Hüttenbesitzers langsam immer näher kommt. Sobald Herrchen außer Sichtweite ist, steht es fast schon unterm Pavillon, schnappt tatsächlich nach der Salami, dann nach Brot, ist auch fast erfolgreich, da bekommt es erst von mir einen sanften Stubs aufs vorwitzige Maul, dann kommt auch schon der Patron um die Ecke. Das Pferd trollt sich, aber nicht weit weg. Immer wieder schielt der Fuchs nach den Tischen, bevor er sich dann doch für das trockene Gras entscheidet...

Wir ziehen alsbald los, eine kurze Etappe haben wir vor uns, mit einem Highlight: der Besteigung des Monte Incudine. Auf über 1.300m laufen wir los, 2.136m sind das Ziel. Das haben wir immer vor Augen, sanft geht es bergauf, Steine, Sträucher, Gräser am Wegesrand. Wir bekommen ein bisschen Respekt vor uns selbst, als wir zu unserer Linken blicken. Da erheben sich all die Berge, über die wir gekommen sind, der morgendliche Dunst hängt noch an den Hängen. Zu unserer Rechten können wir schon das Meer erahnen, doch zu diesig ist es, als dass wir etwas sehen würden. Hinter uns sind recht bald die Belgier, Vater und Tochter marschieren unbeirrt an uns vorbei, während sich die Mutter an unsere Fersen heftet. Sie schnappt schon wieder nach Luft, doch mit unserem Tempo hält sie bald ganz gut mit. Nur ganz auf den Incudine rauf getraut sie sich nicht. Schade, denn die 20 Minuten mehr, die es kostet, um vom GR20 abzuweichen und auf den Gipfel zu gehen, die hätte sich auch geschafft. So verabschieden wir uns von ihr, sie wartet auf Mann und Kind, wir folgen den beiden.



Oben weht wieder dieser Wind, der an Meer und Berge gleichzeitig erinnert. Und wir sehen es schließlich auch, das Meer, wie es im Nebel der Küste verschwimmt, da unten, irgendwo da hinten, da liegen sie, die Ölsardinen an den Stränden, und noch weiter weg, selbst mit konzentriert zusammengekniffenen Augen heute nicht zu erblicken - Sardinien. Noch unvorstellbar, dass wir da bald sind. Da schauen wir lieber erstmal auf die bizarren Felsen, die sich unweit des Incudine aufbauen, das Bavella-Massiv. Morgen wandern wir da lang. Irgendwie realistischer als an Strände auf Sardinien zu denken... Darauf ein letztes Nutella-Schnittchen. Denn der Abstieg zur schon sichtbaren Asinao-Hütte soll es in sich haben...


Wir kraxeln, treten kleine Steinchen los, rutschen weg, fangen uns sicher ab, hören das Fluchen der kleinen Belgierin, die urplötzlich statt einer Gemse wie bergauf nun einem Hahn auf dem Mist gleicht, wie sie sich den steilen, steinigen Weg herabtastet. Wir kommen alle heil unten im Refuge an, es ist kurz nach Mittag, keiner da bis auf ein paar Wanderer. Der Wirt galt eigentlich als komplett unhöflich, viel hatte ich im Netz gelesen, und nichts bewahrheitete sich: nach einer halben Stunde stand er nämlich plötzlich vor uns. Zerzaustes Haar, Feinrippunterhemd und schief sitzende Boxershorts, kleine, grade aufgewachte Augen - und ein Lächeln. Haben wir ihn also aus seinem Mittagsschlaf geholt. Doch er konnte drüber lächeln. Und tat das auch sonst noch recht oft an diesem Tag :-)

Nach etwas sehr bissfesten, mitgebrachten Fertignudeln, deren Bolognesesoße recht fleischlos war, legten wir uns ebenfalls zum Mittagsschläfchen hin. Die Belgier hetzten indes weiter zum Col de Bavella, mindestens 5 Stunden mehr. Bekloppt. Sie hatten Hoffnung, dort ein Hotelzimmer zu finden, weil ihnen das Schlafen im Zelt zu Dritt auf die Nerven ging. Sie ließen uns 2 Frühstücksriegel da, die sie nicht mehr schleppen wollten. Die Dinger waren aber auch schwer...

Gegen Nachmittag staunten wir nicht schlecht. Der ältere Italiener kam aus der Dusche - eingemummelt in einen roten Fleecebademantel! Das gute Stück hatte er über Stock und Stein jeden Tag mitgeschleppt! da sahen wir ganz schön alt aus mit unserem 40x70 Funktionshandtuch ;-)




Wenig später kam dann der kleine Italiener zu unserem Zelt gehumpelt. Er hatte sich die Fersen ordentlich aufgerieben, eine eiterte auch schon etwas. Ob die "dottora tedesca" nicht etwas dagegen hätte. Ich hatte kurz vorher dem Älteren gesagt, dass wir gut ausgerüstet sind und ich dem Kleinen was geben könne. Also bekam er ordentlich Wundspray drauf und abends eine Heilsalbe. Dafür spendierte der Alte Haimon zum Abendessen ordentlich warmen Rotwein zu unserem ebenfalls mal wieder sehr bissfesten Milchreis aus der Tüte. Wir kochten diesmal selbst an den Gaskochern, die für die Wanderer an den Refuges zur Verfügung stehen. Obwohl es auch im Asinao ein wunderbares Abendessen gegeben hätte. Wir wollten aber nicht mehr so viel schleppen, wussten wir doch von 2 entgegenkommenden Jungs aus Augsburg, dass wir im nächsten und damit schon letzten Refuge auch ein warmes Essen bekommen würden. Doch es lockte uns diesmal auch der Käse. Rohmilch hin oder her. Er sah einfach zu gut aus. Diesmal war Haimon dran mit Bestellen, ich sagte ihm, was er sagen musste. Was auch immer er dann aber ganz selbstbewusst sagte, der Hüttenwirt guckte skeptisch, erhob lehrerhaft den Zeigefinger und formte zur Freude eines jeden Französischlehrers jeden Vokal überdeutlich einzeln..."FROOOO-MAAAAA-SCH". Haimon wähnte sich genau dies gesagt zu haben und murmelte es deutlich schüchterner nach. Und wieder sagte der Hüttenwirt mit einem Grinsen, "non, non, c'est FROOOOO-MAAAAAA-SCH", äh, ja, meinte Haimon, sammelte sich und machte schließlich beim nächsten Versuch beim O das gleiche Fischmaul wie der Wirt und beim A hätte eine Banane quer reingepasst. Der Wirt grinste wieder und schob für 10 Euro endlich den guten Käse über die Theke :-)

Kaum, dass die Sonne hinter den Bergen verschwand, wurde es kalt. Der Wind pfiff in immer kräftigeren Böen über die Holzterrasse der Hütte, Wolken schoben sich hinauf bis zu uns. Immer wieder suchte ich die Hänge des Incudine ab. Unsere drei Deutschen fehlten ja noch. Sie hatten es am Tag davor offensichtlich nicht bis zur letzten Bergerie geschafft. Schweine, Kälber, allerlei Viehzeug kam jetzt den Hang hinab. Und dann doch, ganz weit oben waren drei Gestalten zu erkennen. Und wenig später war klar, wer es war :-)


Montag, 30. Juli 2012

GR20 Süd, 4. Etappe: Refuge Usciolu - Bergerie Croce

Ich traue meinen Augen kaum. Es ist kurz nach sechs, ich komme aus dem Holzhäuschen mit dem schönen Hockklo und wer hockt da vor mir auf einem Felsen? Klaus. Einer der drei Deutschen. Wieder ein Wiedersehen. Am Vortag waren alle drei gegen 22 Uhr angekommen. Weil die Kleine weitergehen wollte. Wir sagen noch, wo wir als nächstes übernachten werden - schließlich liegen drei Möglichkeiten vor uns, wir wählen die letzte auf dem Weg, damit wir am nächsten Tag genug Zeit haben, auf den Monte Incudine zu steigen. Der alte GR20 führte noch über diesen großen, letzten 2.000er im Süden, die neue Variante lässt ihn schlicht links liegen. Nicht mit uns :-)

Beim anschließenden Frühstück folgt Überraschung Nummer zwei. Mit einem lauten Zischen und einem anschließend beißend unangenehmen Gestank entweicht all das Gas aus der Kartusche, die Haimon an den Kocher anschließen wollte. Sie passt nicht. Das passt mir nicht. Schließlich hatte ich das gute Stück gekauft, Haimon hatte nichts einzuwenden und die richtige Nummer hatte sie auch. War wohl ein Montagsprodukt, so ein Mist. Der Kaffee blieb also in seiner Verpackung, das Nutella-Imitat aus dem Refuge-Laden war immerhin eine kleine Rettung. Unsere zwei älteren Briten sind derweil schon oben am Denkmalsgrat angekommen, sie gehen den alten GR20. Sie hatten übrigens keinen Kocher dabei - stattdessen haben sie jeden Abend eine Portion Couscous in kaltes Wasser eingeweicht und am nächsten Morgen mit Käse und Dosen-Thunfisch verspeist. Das sind die waren Hardcore-Wanderer, denke ich mir. Wenig später steht Er wieder vor mir, etwas aus der Puste, sucht seine Karte, findet sie nicht. Kurzentschlossen reiche ich ihm meine. Wir brauchen sie nicht mehr, unsere Variante ist eh nicht drauf bzw. so gut markiert, dass man kaum eine Karte braucht. Man ärgert sich eher, dass der Wanderführer was ganz anderes schreibt, als letztlich die Karte zeigt - und die stimmt dann aber.



Wir kraxeln den Grat entlang, von dem der Wanderführer schreibt, das sei im Sommer morgens wie der Wechsel zwischen Kühlschrank und Ofen, ähem, es ist immer wie ein Ofen. Denn nur ganz am Schluss läuft man mal so lange auf der sonnenabgewandten Seite, dass man mal nicht davon schwitzt wie ein Schwein. Sondern sogar noch mehr, "nachschwitzen" heißt das wohl. Ich bin jedenfalls doch irgendwie froh, als es abwärts geht in Eichenwälder, die krüppeligen Bäumchen spenden Schatten und irgendwo da unten sprudelt auch eine Quelle. Dort treffen wir dann unsere Italiener wieder, und nun hat sich mein EM-Groll auch soweit gelegt, dass ich sie anspreche. Und sofort in lautem, unglaublich erfreuten Italienisch einen Schwall italienischer Fußballernamen ernte, die uns gedemütigt hatten. "Deutschland hat gut gespielt, nur nie Tore gemacht"- ja, danke sehr, dacht ich mir. Trotzdem muss ich lachen über den schwarzen Lockenkopf und seinen sehr jungen Rasta-Gefährten, der heute aber irgendwie betröppelt da sitzt und sich sogar sein Shirt über die verfilzten Haare gelegt hat. Die Sonne des Vortags scheint Spuren hinterlassen zu haben...



Weiter geht's durch offene Wiesen, die abwechselnd nach Kräutern duften oder nach Schweinemist stinken. Mir tun die Füße weh und überhaupt sinkt meine Moral gerade. Also schnell Pause, ein paar Scheibchen Salami, während die Jungenhorde Franzosen an uns singend vorbeizieht, und schon ist die Stimmung wieder besser. Noch besser wird sie kurz danach, als wir an der Flusskreuzung ankommen, die Belgier planschen und die Italiener dösen, schnell ein paar Meter weiter, wo der Fluss nicht gleich einsehbar ist, Klamotten aus und rein ins kühle Nass. Die Beine werden leichter, die Körpertemperatur sinkt um gefühlt 20 Grad. Paradiesisch. Mutig nehmen wir mit den Belgiern nach unserer Pause die markierte Abkürzung zur mittleren Bergerie Matalza. Hüpfen durch den Fluss von Stein zu Stein, schleichen Abhänge hinauf und stehen dann endlich im Schatten der Hütte, bestellen eiskalte Cola und Orangina und schauen den Belgiern zu, wie sie Steaks und Kartoffeln in sich hineinstopfen.

Wir wollen später oben in der Bergerie Croce essen und gehen weiter, eine knappe Stunde lang, fragen uns schon, ob wir noch richtig sind, doch dann sehen wir sie: die Hütte, die Pferde. Begrüßen die unglaublich netten Wirtsleute, schnuppern schon bald den Grill, duschen warm, waschen das Salz aus den Shirts - ein hart erstandenes Unterfangen, waren vor mir doch 3 Senioren, die in aller Ruhe drei Waschgänge zelebrierten, sich ums Becken scharten, damit ich ihnen nur nicht zu nahe käme und die mich missmutig beäugten, wie ich unsere paar Sachen neben ihre Wäschekammer auf der Leine drapierte. Nunja. Das Essen - selbstgemachter Schinken & Salami, gegrilltes Schweinesteak auf grünen Bohnen, Obstsalat und feinster Käse mit Clementinenmarmelade - entschädigte für solch komische Zeitgenossen, die glücklicherweise auch einen Tisch weiter saßen. Unser Tisch bestand aus älteren Wanderern aus Toulouse, die mir hartnäckig ihren Wein andrehen wollten. Ich zeigte verneinend auf meinen Bauch. Ach, das Problem kenne er, meinte der freundliche Herr mit der Flasche. Nee, glaub ich nicht, antwortete ich. Er schielt über seine Brille, streicht sich über die kleine Wampe und meint dann, "aber beim Wandern nimmt man doch ab!" Ich ringe hilflos nach einer wichtigen Vokabel, schließlich rettete ich mich mit dem Wort "bebé" über die Runden, er klimperte mit den Augen und --- Ah, oui!!!!! Der ganze Tisch wird laut und erfreut und keiner bietet mir mehr Wein an. Dafür aber natürlich noch eine Schüssel Obst. Und noch eine, bis alles leer ist :-)


GR20 Süd, 3. Etappe: Refuge Prati - Refuge Usciolu

Um 6 Uhr morgens pfeift der Wind ums Zelt. Schon die Nacht über hat er hin und wieder recht kräftig an den Planen gezogen. Draußen ist es noch so frisch, dass wir uns unsere Daunenjacken anziehen. Es gibt Kekse und Kaffee zum Frühstück, während sich ein paar Jungbullen um die Zelte jagen. Zum Glück haben sie schon mehr Platz als am Abend, denn einige Wanderer sind schon auf dem Bergpfad zu sehen, der sich sanft den Hügel hinaufwindet und zwischen den Felsen schließlich verschwindet. Der Refuge-Wirt sattelt schon sein Maultier und sein Pony, Zeit aufzubrechen für die Einkäufe. Ein Auto hätte auf den steilen, engen Wegen hier oben keine Chance.


Felsen wie diese regen immer wieder unsere Fantasie an - sieht doch aus wie ein Bernhardiner, oder?


Auch wir schultern wieder unsere Rucksäcke, mittlerweile sind wir an das Gewicht gewohnt und fangen eher ohne Rucksack an zu schwanken, weil es so ungewohnt ist, nichts am Rücken ausgleichen zu müssen. Das neugewonnene Vertrauen in unsere Tragfähigkeiten wird nach einer halben Stunde Wanderung das erste Mal richtig auf die Probe gestellt. Wir müssen kraxeln, die Wanderstöcke sind teils eher Ballast, nehmen eine Hand in Anspruch, während die andere am Fels entlang tastet, der Fuß Halt sucht, die Abhänge größer werden. Doch es macht Spaß, sich hinaufzuziehen, durchzuzwängen, hinabzustützen. Oben angekommen am Grat haben wir eine schöne Aussicht in die Täler. Mich fesselt aber etwas anderes. Für eine Sekunde kann ich gar nicht sagen, was es ist, was da auf einmal einen Meter hinter Haimon steht und mich keck ansieht aus seinem pelzigen Gesicht, das immer ein bisschen so aussieht, als würde es leicht hämisch grinsen, weil es Nachbars Huhn unbemerkt gerupft hat. Der Fuchs bleibt auch noch ungerührt stehen, als ich Haimon sage, er solle sich jetzt bloß nicht schnell umdrehen. Hat er natürlich trotzdem gemacht. Das war dem Fuchs dann doch zu viel und er trollte sich - an Haimon vorbei, husch husch, den Fels hinab und weg war er.

Die Kraxelei ging noch eine Weile weiter, mittlerweile war es wieder gewohnt heiß. Wir kamen an Ziegen vorbei, die ihren Kopf in den spärlichen Schatten eines Felsens hielten und uns anstarrten, wie wir für ihre Verhältnisse wohl recht unbeholfen den Abstieg begannen. Hinter uns folgte der ältere von 2 Italienern, der Jüngere mit seinem Rasta-Kopf war vorausgeeilt und wurde vom Älteren mit ein paar Pfiffen erstmal wieder angehalten. Mich stoppte wenig später ein Nasenbluten. Also Pause machen, Wasservorrat kontrollieren, Keks essen. Nach einer knappen Stunde standen wir dann auf dem Col de Laparo, der oft im Nebel liegen soll und auf dem es wohl auch mal windig ist, wie die schiefen Bäume mutmaßen ließen. Hm, am heutigen Tag war vom einen wie vom anderen nichts zu sehen und zu spüren. Der Schweiß rann also weiter ungehemmt das Gesicht und den Rücken hinab. Da kam die angekündigte Quelle in der Nähe an einer privaten Hütte gerade recht. Recht warmes Wasser aus einem Schlauch über einem Spülbecken. Nunja, in der Not frisst der Teufel Fliegen und wir trinken dieses Wasser, benetzten Hut und Kopftuch damit, rasten mit Gummibärchen im Schatten und fühlen uns wenig später deutlich fitter als die Belgierin, die erst viel später als ihr Mann und Kind schnaufend und krebsrot eintrifft. Also weiter, überlassen wir ihnen halt die Holzbänke und gehen vor, hinauf in den Buchenwald.





Es wird einer der härtesten Abschnitte der gesamten Tour. Immer wieder pralle Sonne, die Wolken unter uns kommen einfach nicht voran, wollen im Gegensatz zu uns nicht höher steigen. Nach einer Weile bemerken wir Menschen hinter uns, aber es ist weder das mürrische kanadische Pärchen, das oft eine knallharte Geschwindigkeit mit anschließend völlig erledigten Pausen verbindet, noch die belgische Familie. Es sind zwei ältere, wunderbar sympatisch-humorvolle Briten, dürr und sonnengegerbt, Er obenohne und mit zwei Rucksäcken - offenbar kann seine Frau nicht mehr. Er schleppt und schleppt, zieht sogar mit einem Lachen noch an uns vorbei, würde er anhalten, würde er zusammenbrechen, meint er, aha. Irgendwo weiter oben setzt er das Gepäck ab und kommt in einem atemberaubenden Tempo behende wieder herab, um seiner Frau Wasser und moralischen Beistand zu bringen. Respekt.

Wir wähnen uns auch schon oben auf dem Pass, als wir die Rucksäcke stehen sehen, ich freue mich auf den Müsliriegel, der in Pausen dran ist. Im nächsten Moment zerplatzt diese Vorstellung oder geht im Schweiß unter, der mir in die Augen tropft, als Haimon ruft, nein, hinter dem Felsen, wo die Rucksäcke stehen, ginge es noch weiter. Und wie. Weiter hoch, scheinbar schattenlos. Erst nach einer guten Dreiviertelstunde sind die Felsen am Wegesrand so hoch, dass sie wenigstens etwas Schatten bieten. Wir sinken an den Stein, verschmieren die Schokolade des Müsliriegels quer durchs Gesicht beim Versuch, das gute Stück ohne Anzufassen aus der Verpackung zu bekommen. Immerhin stärkt es uns, weiterzugehen und endlich, endlich dann das Refuge zu erblicken, unten am Hang, viele blaue Mietzelte stehen da, Pferde sind zu hören, Menschen wuseln wie Ameisen hin und her. Wir ergattern noch einen schönen Platz für unser Zelt, in der Nähe lassen sich junge, gut aussehende Franzosen nieder - schöne Aussichten im doppelten Sinne sozusagen ;-)



Im kleinen, aber feinen Lebensmitteldepots des Refuges gibt es alles - teuer, aber was macht das schon, endlich wieder so etwas wie Nutella, frische Orangen und Melonen. Der nächste Luxus - relativ warmes Wasser in der Dusche, dafür stelle ich mich auch gern an und nehme hin, dass sich mein Vordermann derart pellt, dass die Haut in Fetzen herabhängt. Ich darf nur nicht dran denken, dass das Zeug dann auch in der Dusche aufm Boden....äh, ja... direkt danach holen wir uns auch unsere Portion Nudeln mit Möhren und Pilzen ab. Die kleine Belgierin sitzt allein da und isst - wir sind etwas besorgt, fragen nach. Die Mutter hat wohl schlapp gemacht und der Vater sucht sie grad. Zum Glück tapert sie wenig später den Hang hinab. Puh. Gegen halb zehn liegen wir wieder in den Federn. Ich muss irgendwann nochmal raus und endlich, endlich, endlich höre ich sie: Meine Zwergohreule, weit unten im Tal. Ihr Ruf hatte mir vor 2 Jahren auf Koriska erst den Schlaf geraubt und später geschenkt. Glücklich liege ich wieder im Schlafsack. Jetzt bin ich wirklich auf Korsika :-)

Donnerstag, 26. Juli 2012

GR20 Süd, 2. Etappe: Refuge Capannelle - Refuge Prati

Das Frühstück war mau. Ein paar trockene Baguettescheibchen, um die sich der halbe Tisch kloppen musste, Krümelkaffee und Marmelade aus Plastiknäpfchen. Hm. Noch mauer sahen die Rennfranzosen aus. Schon am Vorabend hockten sie teilnahmslos am Zelt und auch heute morgen sahen sie nicht besser aus. Wir sahen sie nie wieder auf dem GR20. Und ich fühlte mich in meiner langsamen Maultiergangart bestätigt. Also auf zur nächsten Etappe!

Nach einer Stunde planschten wir bereits wieder in einem Pool, den ein Gebirgsbach geformt hatte. So erfrischt wurde die aufkommende Hitze des Tages erträglich. Haimon schloss schnell wieder Freundschaft mit den korsischen Rindviechern, die ähnlich zutraulich wie in den Alpen mit ihm waren. Vorbei an verbrannten Baumstümpfen, über die schon wieder die Sträucher wuchern, über sanft gewellte Wiesen hinüber zu Eichenhainen, in denen viele Wanderer den Mittag über rasten, geht es, bis sich der Pfad hinabsenkt in ein Flusstal. Zum ersten Mal nuckle ich vergeblich an meiner Trinkblase - leer. Drei Liter haben wir am Vormittag verbraucht. Unser Rother-Wanderführer schreibt nichts von der schon lange existierenden Quelle unten am Fluss. Ich frage mich langsam, ob die Autoren wirklich die Strecke gegangen sind.



Neue drei Liter Wasser im Rucksack wird der Weg leicht bergauf wieder schwerer. Doch eine Aufheiterung ist schnell da - es raschelt im Gebüsch, ein scharfer Geruch fährt mir in die Nase und wenig später grunzt es am Hang: Eine ganze Rotte halbwilder Schweine trabt durchs trockene Laub, schwarz-braun gefleckte Gesellen, die sich irgendwann vor Haimon drängeln und eine Weile vor uns her rennen, bis sie wieder zwischen Bäumen, Sträuchern irgendwo verschwinden. Weiter oben treffen wir auf weitere Artgenossen, die sich in Steinhöhlen entspannen und den neugierigen Wanderer höchstens mit einem Ohrwackeln und einem kurzen Grunzer begrüßen. Sie sollen auch schon Proviant gefressen haben. Wir machen uns wenig später am Col de Verde über ihre Verwandten her: Wir haben das größte Sandwich mit Salami in der Hand, was ich gesehen habe. Auch die Käsevariante ist Wahnsinn. Eine Belgierin, die Deutsch kann, lächelt uns zu. "Es ist aber noch nicht getan", sagt sie mit einer Mischung aus holländischem und französischem Akzent und deutet auf den Weg draußen vor der Terrasse. Zwei Stunden sind es noch ungefähr bis zum Refuge Prati...




Das Sandwich macht mir den langen, steilen Anstieg nicht leichter. Ich hickse vor mich hin, Schweiß rinnt literweise an mir herab, ich atme schwer. Und ahne, dass das noch nicht alles gewesen ist, was wir grade hinter uns haben. Franzosen mit verkniffenen Gesichtern hechten uns entgegen den Hang hinunter, ein Esel schreit in der Ferne, der Weg ist wieder steiler geworden, kleine Serpentinen durch staubigen Buchen-/Erlenwald, der sich irgendwann lichtet und den Blick frei gibt auf eine wunderschöne Berglandschaft - wäre da nicht der Blick hinauf auf weitere Serpentinen um Felsbrocken herum, alles noch der späten Nachmittagssonne ausgesetzt. Während ich mich so hochkämpfe, versuche, Moral und Atem zu finden, beschließe ich, dass unser Nachwuchs schon mit Bergschuhen auf die Welt kommen muss. Bei so einer Vorbereitung! Und schließlich stehen wir oben auf dem Pass, der Bocca d'Oru, über den Wolken, über den Dörfern weit unten in den Tälern, das Gesicht im Wind.




Mit Blick in die Ferne geht es 2 Kilometer weiter auf dem Bergrücken, auf dem Esel und Pferde herumtollen. Haimon läuft weit voraus, praktisch für mich, so kann er schonmal mit dem Zeltaufbau anfangen :-) Beim netten Wirt bestellen wir noch schnell zwei Abendessen, schlüpfen unter eine eiskalte Dusche und schauen hinab in den Dunst des Abends, irgendwo da unten liegt die Küste... die Sonne ist weg, es wird kühl, beinahe kalt, wir kuscheln uns in die Daunenjacken und wenig später in die Schlafsäcke. Und recht schnell sind wir eingeschlafen nach diesem langen Wandertag...



GR20 Süd, 1. Etappe: Vizzavona - Refuge Capannelle

Die Wasservorräte sind aufgefüllt, das Frühstück eingekauft, nun muss nur noch der Bus kommen. Tut er, hatte man uns in der Touristeninformation tags zuvor versichert. Tut er nicht, meinten Bahnhofsmitarbeiter noch einen Tag früher. Und die behielten Recht. Wir warteten eine Dreiviertelstunde an der Brasserie, wo unsichtbarerweise auch die Bushaltestelle ist, schwitzten schon wieder selbst im Schatten und nichts passierte. Also Rucksäcke schultern und zurück, Richtung Bahnhof. Und in Kauf nehmen, erst mittags in Vizzavona, unserem Ausgangspunkt, loszugehen. Und zuvor natürlich Bahn fahren. Und die war rappelvoll, wir ergatterten noch einen kleinen Sitz, die Klimaanlage kam nicht an gegen all die schwitzenden Massen und die kräftige Sonne. Als wir in Vizzavona ausstiegen, kam ich mir vor wie schon 2 Stunden auf Wanderschaft.

Zuerst war da eine Teerstraße, dann ein Forstweg und schließlich ein Pfad steil hinauf durch den Kiefernwald. Immer mal wieder lichteten sich die Bäume und der prunkende Monte d'Oru ließ sich blicken, hüllte sich erst später am Nachmittag in Wolken, als wir ihm schon länger den Rücken gekehrt hatten. Gemächlich wie ein Maultier stapfte ich bergan, war begeistert von meiner Trinkblase, nippte immer mal wieder und blieb somit konstant auf Wohlfühltemperatur. Selbst dann, als hinter mir dieses unheilvolle kick-kick-kick fremder Trekkingstöcke immer näher kam. Ich hatte mich von Anfang an vom "an-mir-hirschelt-keiner-vorbei" der Alpenüberquerung des vergangenen Jahres verabschiedet und nahm es denn auch hin, als mich eine Familie von Rennfranzosen, die zuvor mit uns in der Bahn war, überholte, überrannte, was auch immer. Da staunte sogar Haimon, prophezeite aber schnell "Die kommen nicht weit". Nunja, vorerst zumindest entschwanden sie uns so rasch aus dem Blickfeld, wie sie sich genähert hatten.

Monte d'Oru (2.389m)
Allmählich lichtete sich der Wald, ging über in eine steinige Busch- und Wiesenlandschaft, vereinzelt grasten Rinder an den Hängen. Eine Quelle sprudelte im Erlenbuschgestrüpp, und ein bisschen weiter oben war er auch schon, der erste Pass im Süden, die Bocca Palmentu. Wind kühlte unsere schweißnassen Gesichter. Hier oben konnte man auch übernachten, zur Not, kreisrund aufgeschichtete Steine markieren den Biwakplatz. Wir aber stiegen hinab zur Bergerie d'Alzetta, an der eine Horde Franzosen lagerte, alle asketisch dünn, als würden sie sich nur vom klaren Quellwasser ernähren, was noch so reichlich floss, dass der Weg leicht sumpfig wurde. Wir pausierten. Eine Kuh brüllte irgendwo im Gebüsch, wobei es sich teilweise auch anhörte wie ein leidender Kater. Dann war Ruhe und auch die Franzosen urplötzlich weg. 


Bergerie d'Alzetta

Auch für uns ging es weiter, ohne große Höhenunterschiede, erst durch einen hellen Buchenwald, wie verwunschen waren diese knorrigen alten Bäume, deren Wurzeln sich in den steinigen Hang krallten. Hier und da stehen tote Bäume, Kiefern, deren Gerippe weit in den blauen Himmel ragen, oder deren verkohlte Stümpfe mahnend am Wegesrand stehen und an die jährlichen Waldbrände erinnern. 





Laut unserem Rother-Wanderführer hätten wir schon längst an der nächsten Hirtenhütte ankommen müssen. Laut der IGN-Karte waren wir aber im Plan. Fazit: Irgendwas stimmt nicht mit dem Wanderführer. Was wir hier noch achselzuckend hinnahmen, ließ mich wenig später lautstark fluchen. Wir kamen irgendwann an der Bergerie vorbei. Und sahen recht überrascht unsere Rennfranzosen dort wieder, wie sie im Schatten hingen und gar nicht mehr so motiviert drein blickten. Wir zuckelten weiter, und standen plötzlich vor einem steilen Hang, der Pfad schlängelte sich in Serpentinen unerbittlich bergauf, ein Ende war nicht abzusehen. Das war so nicht ausgemacht, das schreibt der Rother nicht!, dachte und meckerte ich. Wohl oder übel musste ich das Meckern ganz schnell einstellen, wollte ich nicht völlig aus der Puste oben ankommen. Es war ein harter letzter Anstieg, endlich erreichten wir die Teerstraße, von der aus es recht schnell zum Refuge gehen sollte, unserem Tagesziel. Der kleine Franzose, vielleicht 12, stürmte wieder an uns vorbei, nur um sich 10 Meter weiter vorn japsend auf einen Fels zu setzen. Zweimal ging dieses Spiel so, dann blieb er hinter uns.

Das Refuge war voll. Es wimmelte vor Wanderern, viele Zelte standen bereits, wir schlugen unseres auf einer weichen Wiese auf, wieder nahe am Fluss. Und als wir nach einer Dusche aus dem Gardena-Gartenschlauch in der Holzhütte so auf die Terrasse des Refuge zusteuerten, trauten wir unseren Augen kaum. Da saßen wieder unsere drei Deutschen. Sie hatten auf dem ersten Pass übernachtet. Bei korsischer Suppe, Wildschweingulasch auf Polentaschnitten und zum Schluss Kastanienkuchen, serviert von einer hübschen durchtrainierten Kellnerin, tauschten wir erste Wandererfahrungen aus - und fragten uns, ob wir wohl das Fußballspiel zu sehen bekämen, Deutschland gegen Italien. Doch der Fernseher blieb aus, wir trollten uns ins Zelt und mussten zweimal von irgendeinem Italiener, der ein Radio dabeihatte, "Goooooool!"-Rufe ertragen. Wenig später bestätigte die Gegentore dann eine Freundin aus Deutschland per sms. Trotz Trauer über die EM-Pleite - das Flussrauschen und die Strapazen des ersten Wandertages ließen mich schnell einschlafen...

Dienstag, 24. Juli 2012

Auf altbekannten Wegen

Eine Wanderung startet man nicht zur Mittagszeit. Wissen wir. Machen es aber trotzdem. Immerhin haben wir beim zweiten Anlauf Sonnenhut und -creme dabei. Und 3 Liter Wasser. Also auf ins Tavignano-Tal! Immer der Nase nach, könnte man auch sagen. Denn die Macchia, das typische Buschland Korsikas mit seinen Dornensträuchern, Gräsern, Kräutern, Blumen verströmt einen unverkennbaren Geruch. Und wenn der seltene Wind dann durch schon leicht vertrocknete Sträucher fährt, die einst kleine gelbe Blüten hatten, dann weht ein Duft nach weiter Welt zu mir und Tibets Klöster entstehen wieder vor meinem inneren Auge. So hat das Räucherwerk der Tempel gerochen. Zuhause wühle ich im Internet, Zistrosen waren es, die mir den inneren Ausflug nach Asien geschenkt haben. Immer wieder, auch später auf Sardinien, rieche ich diesen würzig-süßlichen Duft und erinnere mich...an Klöster mitten in der Macchia...

Corte



Unterwegs überqueren wir ausgetrocknete Bachläufe, die vor 2 Jahren im Frühling fröhlich dahinplätscherten.  Es ist heiß, wir gehen relativ langsam, hoffen, dass die Quelle an der Brücke, an der wir umkehren werden und an der wir vor allem erstmal baden wollen, Wasser führt. Der Tavignano jedenfalls hat noch genug. Er schlängelt sich durch das Tal, ruht in den Gumpen, die tief gefüllt sind mit klarem Wasser, was zu uns heraufblinzelt, türkisgrün manchmal wirkt. Nach fast 3 Stunden kommen wir an, die Quelle sprudelt, ein paar Leute baden, doch zwischen den vielen weißen, großen Steinen am Ufer und in der Mitte des Flusses ist genug Platz für alle. Das kalte Wasser weckt neue Lebensgeister. Ich taste mich langsam vor, während sich Haimon schon treiben lässt im vielleicht 15 Grad kühlen Nass...


So fällt der Rückweg entlang des Bergpfades leicht. Wir begegnen tatsächlich den Wave-Reisenden aus dem Flieger, arme Gesellen, warum gehen sie erst so spät los, so viel Gepäck,wie sie durch die Hitze schleppen, mir graust es. Unterwegs kommen wir nochmal an einer Quelle vorbei, ein Engländer hält Haimon zurück, erklärt ihm, er solle mal seinen Kopf drunter halten, während er die Quelle zuhalte. Ok, wird gemacht. Kein Tropfen fällt. Der Engländer zählt und bei "Ten!" ergießt sich ein kalter Schwall über Haimons Nacken, juchzen beide auf vor Freude.



Nach 2,5 Stunden sind wir wieder in Corte. Abendessen. Ein Menu Corse soll es sein, ich schaufle die korsische Suppe in mich hinein, zerlege meine Forelle, während Haimon die Nudeln mit Wildschweinfleisch aufspießt. Zum Nachtisch noch einen leicht warmen Kastanienkuchen mit Vanillesoße und ich bin glücklich. Bereit für den Gr20 Süd.

Ab auf die Insel!

Der Sitznachbar rutscht etwas unruhig auf seinem Sitz hin und her. Dann spricht er mich doch an. Ob ich auch zu Wave-Reisen gehöre und auf Korsika wandern will. Ja und nein, wir sind unsere eigene Wandergruppe, sage ich ihm und deute auf Haimon, der im Sitz immer tiefer rutscht und von den Bergen träumt. Wir sitzen im Flieger nach Bastia, mit uns viele Sonnenanbeter, ein paar Radfahrer und eben die Wave-Reisenden, ein bunter Haufen etwas desorientiert wirkender käsebeiniger Herren und ein, zwei Frauen, mehr oder minder bereit, sich mit ihren bis oben vollgepackten Rucksäcken auf den GR20 zu begeben.

Am Flughafen in Bastia schlägt uns sogleich die trockene Hitze der Insel entgegen. Schnell die Hosenbeine abgezippt, Strümpfe runtergerollt, T-Shirt gewechselt. Wir könnten glatt loslegen. Das scheint auch eine sonnengegerbte Französin zu denken, steuert direkt auf uns zu und fragt kurz und knapp etwas, von dem ich erst nur so etwas wie "chèr" - teuer - verstehe und vorsichtshalber mal "Non" antworte. Sie winkt abschätzig ab und geht weiter. Erst einige Minuten später verstehen wir, was sie wollte - uns eine Gaskartusche schenken, die sie nicht mit ins Flugzeug nehmen darf. Und gefragt hatte sie, ob wir auf "Chee-Aaar", dem GR, unterwegs sein würden. Ups. Aber gut, wir brauchten eh Stechkartuschen, sie hatte eine Schraubkartusche...

Vor dem Flughafengebäude stehen wir unschlüssig in der brennenden Nachmittagssonne. Taxi zum Bahnhof? 8 Kilometer laufen, bei der Hitze, nö. Da kommen mir die Jungs vor uns wie gerufen. Sie sehen deutsch aus, sind sie auch und - sie haben einen Plan, den ein anderer, verwegen langhaarig blonder Lulatsch hinter uns, ausgeheckt hat: Erstmal nach Lucciana zum Supermarkt und dann dort in die Bahn, alles in allem so 2 bis 3 Kilometer. Prima, wir wackeln hinterher. Und fragen uns schon an der ersten Kreuzung, wann denn nun endlich der Supermarkt kommt. Völlig durchnässt vom eigenen Schweiß kommen wir schließlich irgendwann an, betreten das kühlschrankkühle Gebäude und hamstern erstmal Wasser und - mein neues Lieblingsgetränk auf Korsika, da Pietra-Bier ja nun wegfällt - eine Orangina. So gestärkt fällt der letzte Kilometer zum Bahnhof nicht schwer, und an der kleinen verfallenden Hütte stehen wir auch nicht lang, da kommt eine niedlich altmodisch aussehende Bahn das Gleis entlanggezuckelt, der Schaffner bedeutet uns einzusteigen und will noch nichtmal Tickets sehen. Wir fahren nur eine Station weiter, da ist Ende. Die nächste Bahn zu unserem Zielort Corte käme "so in einer Stunde", meint der Schaffner noch. Ich in meiner deutschen Fahrplanliebe weiß natürlich alles besser und will noch sagen, nein, in 20 Minuten, verkneife es mir aber. Besser so. Denn es wurde eine Stunde. Auch die korsische Bahn hat Verspätung... und der Bahnangestellte keine Lust, Tickets zu verkaufen. Er diskutiert, telefoniert, diskutiert und lümmelt irgendwann in seinem Schreibtischstuhl und bewegt sich keinen Deut zum Schalter. Korsische Gemütlichkeit :-)

In der Abenddämmerung schiebt sich der moderne Zug die Hügel hinauf, vorbei an grasenden Maultieren, Rindern, Schafen. Die Silhouetten der höheren Berge umspielt das letzte Sonnenlicht, zackig zeichnen sich die Felsgrate ab, tief liegen die Täler unter uns mit ihren Oliven- und Kastanienhainen. Es ist diese Mischung aus rauer alpiner Schönheit und mediterranem Zauber, mit der Korsika mich schon beim ersten Mal begeistert hat. Und auch diesmal sofort wiedergewonnen hat. Auch unsere Mitfahrer, eine Mutter mit ihrer ca 12-jährigen Tochter und ein älterer, drahtiger Herr, alle drei in Wandersachen, bestaunen die Natur draußen. Wir werden diese drei Deutschen immer wieder sehen in den nächsten Tagen.

Als nächstes beim Pizzaessen. Der verwegene Blonde hatte uns die Pizza aus dem Wohnwagen-Imbiss in Corte empfohlen. Nachts um zehn schmeckt alles, wenn man Hunger hat, auch eine Pizza mit etwas zu viel Käse, egal. Kaja, Britta und Klaus sitzen auch bald neben uns. Und wie konnte es anders sein - Klaus ist ein Sachse, wenn auch schon lange im Ruhrgebiet heimisch und in Köln beim Tangounterricht. Überall trifft man sie :-) Wir schlagen unser Lager gemeinsam auf dem Campingplatz Restonica auf, direkt an der Restonica gelegen, deren Rauschen den Wirt wohl schon eingelullt hat in Träume, etwas zerzaust steht er vor uns, halb elf nachts. Wir teilen uns den Platz mit ein paar Ameisen, aber was stört schon das Krabbelgetier, davon werden wir bald wahrscheinlich eh noch genug haben...

Sonntag, 22. Juli 2012

Korsika statt K2, Sardinien statt Skardu

Neue Umstände, neue Pläne. Und die stehen relativ schnell, gut, wir haben auch wenig Zeit, flexibel sind wir auch nicht mehr, der Urlaub war ja schon eingereicht. Meine Wanderlust ist immer noch ungebremst, auch wenn ich hin und wieder doch arg ins Schnaufen komme und langsamer bin. Doch zu Pfingsten stehen wir auf der Zugspitze, wenn auch nicht auf dem "richtigen", weil noch sehr vereisten und zugeschneiten, Gipfel, doch immerhin - bis auf die letzten 200 Höhenmeter haben wir alles zu Fuß erlaufen, nur dann wurde der Altschnee zu viel, der Hang zu steil und auf allen Vieren wie ein paar Hartgesottene wollten wir dann nicht auch hochkrabbeln, sondern nahmen die Sonn Alpin Bahn.

Von daher waren wir uns einig: Auch im großen Urlaub wird gewandert. Und relativ schnell ist klar, wo. Korsika. Schon einmal war ich auf dieser wunderschönen Insel, bin den Mare a Mare Fernwanderweg allein von West nach Ost bis Corte gelaufen und konnte mich kaum sattsehen an den Bergen, der zerklüfteten Küste. Und schon damals hat er gelockt, der große Weg, der GR20. Eine halbe Etappe bin ich ihn gelaufen an einem Tagesausflug. Diesmal sollten es ein paar mehr werden. Schweren Herzens strich ich den Nordteil aus dem Plan. Die Etappen des Nordens gehen zwischen und über die höheren Berge der Insel, sind härter als die im Süden. Muss ja nicht sein. Und auch der GR20 Süd ist nicht ohne. Sieben Tage. Es ist heißer, die Etappen ziehen sich meist auch über einen ganzen Tag und ein paar Kraxelstellen sind ebenfalls dabei. Perfekt :-) Als Ausgleich zu Korsika sollte Sardinien dienen - Küste, Felsen, Strand und (M)me(e)hr.


Alles anders

"... und denke daran: Manchmal ist das Nichterreichen deiner Wünsche eine glückliche Wendung des Schicksals."  - Dalai Lama -


Die Flüge waren schon vor einigen Monaten gebucht. Die Reiseagentur ausgesucht, alle Fragen geklärt, 2000 Dollar Anzahlung auf ihrem Weg nach Skardu, Pakistan. Es schien, als ob sich nichts mehr zwischen uns und dem Trek zum K2 und anderen Achttausendern des Karakorums stellen könnte. Mein Traum, bald vor dem zweithöchsten Berg der Erde zu stehen, schien so nah. Das Glück, ein paar Wochen davor nochmal nach Bangkok reisen zu können, machte es perfekt. Doch schon vor Bangkok zeigte der liebe Gott, dass er andere Pläne hatte. 

Zuerst war da die Sache mit dem Geld. Es kam angeblich nicht an. Hing bei der amerikanischen Korrespondenzbank. Hing im Nirwana. Oder war doch schon auf dem Konto von Kamal, dem Chef von Snowland Tours. Wer weiß. Die Uhr begann zu ticken - ohne Anzahlung keine Reisebestätigung, ohne Reisebestätigung kein Visum. Und auf das darf man eh eine Weile warten. Ich wartete zudem auf etwas anderes. Bis zum 22. Mai, bis ich aus Bangkok zurückkam. Dann hielt ich es nicht mehr aus, wartete nur noch drei Minuten. Und nach den drei Minuten an jenem Abend war klar - es wird keinen K2 in diesem Jahr geben. Auch nicht im nächsten und sicher noch nicht im übernächsten. Stattdessen, wenn alles gut geht, Neuseeland in der Elternzeit Ende 2013 :-)

3 nights in Bangkok - Teil IV

Bangkoker Nächte sind lang... Die letzte Nacht in der Stadt der Engel lag vor uns. Herausgeputzt ließen wir uns den Wind um die Nase wehen oben in der Skybar, dem Sirocco auf dem Lebua-Hotel. Es ist schon grandios, wenn man herabschreitet, die breite Treppe hinunter mit Blick auf die erleuchtete Stadt, über die gläserne Bar, wo man Cocktails bekommt, die schon nach einem Glas ordentlich wirken. Mancher stiegen sie in dieser Nacht allerdings arg zu Kopf. Bangkok ist die Stadt der Sünde, Mann und Kind weit weg, das dachten einige und so handelten einige. Die (vermeintlichen) Konkurrentinnen wurden verbal weggebissen, zumindest hinter deren Rücken. Selbst dann, wenn die Gute dafür verantwortlich ist, dass in der QBar dann plötzlich zwei Flaschen Moet & Chandon auf dem Tisch stehen.


Es war vor allem dieses ganze Gehabe teils sehr erwachsener Frauen Ende 40, was mir derart auf den Wecker ging, dass es auch das letzte Cocktail um 4 Uhr morgens nicht vergessen machen konnte. So kam es dann, dass ich kurz vor halb neun völlig vergrätzt nach 2 Stunden Schlaf aus dem Bett taumelte, meinen Zimmergenossen immer noch vermisste und dann losstapfte, schließlich wollte ich doch noch etwas einkaufen. Die Bootsfahrt auf dem Chao Praya brachte wieder etwas Sauerstoff ins Köpfchen, doch sobald der Fahrtwind aufhörte, sich die drückende Schwüle der Stadt wieder ausbreitete, sank meine Laune. Kein Wunder, dass mir in der überfüllten Chinatown die Leute fast schon bereitwillig den Weg frei machten, ich muss übel geguckt haben. Und dann verlaufe ich mich auch noch. Weil ich in den Stadtplan des Hotels gucke und die thailändische Beschriftung der Straßennamen missinterpretiere. Das Schild steht meist im 90-Grad-Winkel zur genannten Straße, verstehe, wer will. Ich will wieder zum Golden Mountain, basta, vielleicht bekomme ich dort wieder einen klaren Kopf und genug Abstand zum Haifischbecken, das wahrscheinlich immer noch halb benommen im Hotel dahindämmert, heute abend aber mit angetackertem falschen Lächeln in den Bus zum Flughafen steigen wird. Schon der Gedanke daran zieht meine Mundwinkel wieder nach unten.

Schließlich erreiche ich den goldenen Tempel wieder und habe alle Mühe, den Anstieg zu meistern, mir rinnt der Schweiß in Bächen hinab, ich stürze meine eiskalte Fanta mit verdammt süß-klebrigen Erdbeergeschmack hinunter, nuckle oben im knappen Schatten - mittlerweile ist es ja auch schon Mittag - an meiner Wasserflasche. Kleine Novizen sprinten hin und her, sie kennen keine durchzechten Nächte, noch... Ich folge fast der Route von Samstag, nehme das schnelle Kanalboot, steige an der schon wieder vertrauten Anlegestelle aus und tapere vor zum großen MBK, einem Shoppingcenter. Und bin immer noch lustlos, obwohl man hier nach Herzenslust allerlei billige Textilien shoppen kann und auch ein paar Mitbringsel finden könnte. Mit 3 Shirts und einer Kinderseife in Elefantenform für die Tochter meiner Freundin gehe ich wieder raus. Normalerweise wollte ich vollbepackt heimfliegen. Immerhin, mein Zimmergenosse hat die Keycard für ihn gefunden und scheint wieder unter den Lebenden, während eine andere Feierwütige nochmals die Fische im Chao Praya füttert...




Gegen halb zehn heißt es Abschied nehmen. Ich bedauere meine Tagesform, doch schuld bin ich selbst daran. Der Flug ist voll, ich sitze statt in der Business diesmal wie sonst auch in der Economy. Die Gestalten der vergangenen Nacht haben mit Make-up die Spuren kaschiert, doch hin und wieder schimmern die durchtanzten Stunden, die ausgetrunkenen Gläser, drückt die Müdigkeit die Lider. Ich kann dem zum Glück nachgeben. Wieder verschlafe ich den Besuch meines Freundes an meinem Platz, was soll's. Bangkoks Nächte sind lang... sie wirken unter Umständen bis in den nächsten Abend hinein...